Frank van Düren - Willkommen in meiner Welt
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App oder nicht App, das ist hier die Frage

18.04.2020

In Sachen "Apps gegen Corona" bin ich derzeit hin und her gerissen. War noch vor wenigen Wochen das vorgegebene Ziel im Kampf gegen Corona, dass wir bis zu einem Impfstoff durchhalten müssen - von dem man nicht wissen kann, ob es den je geben wird - ist nun das Credo: "Wir brauchen eine App, damit wir jeglichen Ausbruch und jegliche Infektionskette verfolgen können. Wenn wir diese App haben, können wir das Geschehen kontrollieren". Doch ist das wirklich so?

So ist zum einen von vorne herein die allgemeine Skepsis groß, was den Datenschutz angeht. Ich maße mir nicht an, hier die Risiken beurteilen zu können, und könnte höchstens darauf vertrauen, dass die App-Entwickler und die Politik hier das größtmögliche Maß an Vorsicht walten lassen. Zugleich gibt es aber auch hier nie eine hundertprozentige Sicherheit und ich muss als Bürger also bei der Nutzung der App einkalkulieren, dass es zumindest ein Restrisiko gibt, dass mit meinen Daten Schindluder getrieben wird. Zugleich halte ich es hier auch mit einem Experten wie Sascha Lobo, der schon früh sinngemäß gemahnt hat, dass solche Eingriffe in die Privatsphäre und Datensicherheit mindestens sehr skeptisch betrachtet werden müssen, weil eines feststeht: Es werden Hemmschwellen gesenkt. Unterbindet man jetzt die Versammlungsfreiheit wegen Corona, oder sammelt private Daten um den Virus zu bekämpfen, dann sind die Türen dafür geöffnet, solche Maßnahmen in Zukunft auch bei geringfügigeren Problemen anzuwenden.

Wenn nun aber auf diesem Wege dem größeren Wohl gedient wird und wir auf diese Weise das Virus wirklich ausmerzen könnten, dann wäre ich zur Nutzung einer solchen App sicher noch bereit. Skeptisch bin ich allerdings in Sachen Praktikabilität und Nutzen dieses Weges.

Da wäre zum einen die berühmte Frage der "Risikogruppe": Nach aktuellen Zahlen suche ich gerade auf die schnelle vergebens, aber die gefundenen Statistiken untermauern, was ich vermutet habe: Während bei jüngeren Menschen das Smartphone mittlerweile das Hauptinstrument der digitalen Nutzung ist, fallen die Zahlen in der gehobenen Altersklasse (ab etwa 55 Jahre) rapide ab. Hier ist die Nutzung "klassischer Medien" nach wie vor vorherrschend. Daher bleiben bei mir zunächst folgende Fragen offen:
1. Wie hoch ist der Anteil der Smartphonebesitzer bei den "über 55-jährigen"?
2. Wie sehr ist die Smartphonenutzung bei Schwestbehinderten mit Vorerkrankungen verbreitet? 3. Wie sieht es bei der Smartphone-Abdeckung unter Kindern aus?
gerade auf die dritte Frage folgt zudem: Wie früh sollen Kinder mit einem Smartphone ausgestattet werden, noch dazu mit einer Software, die Daten und ggf auch Bewegung ausspäht? Und zumindest nach dem, was ich von Wissenschaftlern und Viologen gehört habe, sind gerade kleine Kinder womöglich besonders "gefährlich" für die Risikogruppen, da sich in ihren jungen, immunen Körpern die Viren oft unerkannt tummeln können. Wäre hier ein lückenloses Nachvollziehen der Infektionsketten daher nicht um so notwendiger?

Ganz grundsätzlich zielt meine Fragestellung darauf, ob wir gerade mit einer App diejenigen erreichen und schützen, die laut aktuellem Kenntnisstand am meisten gefährdet sind, nämlich die Alten und Vorerkrankten. Dabei beziehe ich mich in erster Linie auf die offenbar angestrebte "Tracing App", mit der Infektionsketten erfasst werden sollen. Das Prinzip ist ja zunächst logisch und nachvollziehbar: Jemand wird positiv auf Corona getestet und meldet das in der App. Dann bekommen all jene eine Warnung, die sich innerhalb der letzten Zeit (2 Wochen?) in dessen Nähe aufgehalten haben, und können ihrerseits vorsorglich zum Arzt oder in Quarantäne gehen. Wenn das also (fast) alle machen, haben wir bald sämtliche Vorkommen des Virus entdeckt und durch Quarantäne ausgesessen.

Doch jetzt folgt das berühmte "aber". Eine solche App müsste in einer freien Gesellschaft auf Freiwilligkeit beruhen. Ich vermeide jetzt Zahlenspiele, für die ich keine fundierte Grundlage habe, aber man kann wohl davon ausgehen, dass ein nicht unerheblicher Teil der Gesellschaft die App nicht installieren wird. Aus begründeter oder unbegründeter Skepsis. Aus technischer Unwissenheit. Aus Ignoranz. Oder eben, weil schlicht und einfach kein Smartphone vorhanden ist. Was - wer gegenteilige Zahlen hat, möge mir diese bitte mitteilen - besonders bei den "Älteren", also besonders gefährdeten Mitmenschen der Fall sein dürfte. Alleine hier schon ergeben sich große Lücken im "Tracing", also in der Nachverfolgung von Infektionsketten.

Dazu kommen potentiell weitere Fehlerquellen: Nicht jeder führt sein Smartphone stets bei sich. Manch einer mag sogar mehrere haben, z.B. Geschäftsleute oder Menschen, die mit heimlichen Geliebten kommunizieren wollen. Manchmal vergisst man es schlicht und einfach, oder lässt es liegen. Ich zum Beispiel trage meines in der Wohnung nie am Körper - wenn ich nun Post oder eine Pizzalieferung entgegen nähme, würde das nicht erfasst.

Dazu stellt sich mir die Frage: Was passiert, wenn ein Bürger die Nachricht bekommt, dass er Kontakt mit einem Infizierten hatte?
Gut, die Beführworter und Optimisten gehen davon aus, dass derjenige sich umgehend testen lässt und sich - solange Unklarheit herrscht - in freiwillige Quarantäne begibt. Doch dafür bräuchte es alleine in Deutschland 80 Millionen aufgeklärte, verantwortungsbewusste Bürger die IMMER das Gemeinwohl über die eigenen Interessen stellen. Und da habe ich deutliche Zweifel. Egoismus ist ein Teil der Gesellschaft, bei manchen mehr, bei anderen weniger ausgeprägt. Menschen agieren nicht ausschließloich aus Logik heraus, aus Verantwortungsbewusstsein oder aus Gemeinschaftssinn - wirklich jeder hat auch seine Gefühle, Instinkte, persönlichen Interessen, die ihn leiten. Und da wird bei fast jedem Menschen auch mal der Satz kommen "Ja eigentlich halte ich mich ja an die freiwillige Quarantäne, aber heute musste ich mal eine Ausnahme machen." Und spätestens wenn man zum dritten oder vierten Mal "unverschuldet" zuhause bleiben muss, nur weil man zufällig einem Infizierten begegnet ist, während andere sich frei bewegen können, schlägt auch der eigene Gerechtigkeitssinn Alarm.

Die Alternative wären Zwangsmaßnahmen. Es gibt ja offenbar Länder, die ihre Infizierten und mitunter auch Verdachtsfälle zwangsweise in Quarantäne setzen und dabei auch mit ihrer App überwachen, ob derjenige sich daran hält. Aus Israel z.B. kamen Bilder, bei denen ein Infizierter, der sich nicht an die Quarantäne gehalten hat, aufgespürt, brutal eingefangen und nach Hause verfrachtet wurde. Nun kann man sagen "selbst schuld, er hält sich nicht an die Regeln" - aber spätestens, wenn das mit der eigenen, uneinsichtigen (Groß-)Mutter passiert, wird man solche Zugriffe auch nochmal aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Ich für meinen Teil möchte nicht in einem Land leben, in dem einfache Bürger kriminalisiert werden, die zum Beispiel nur der Sehnsucht nach Kontakt zu ihren Liebsten folgen. Egal wie unvernünftig das in dem Moment sein mag.

Wie also nutzen wir eine Tracing App, wenn wir den Menschen nicht als rationale Maschine, sondern als das komplexe Wesen betrachten, das er ist? Und welche psychischen Auswirkungen hat eine solche Technik, die einem permanente Überwachung suggeriert? Wie reagiert jemand generell darauf, dass ihm sein Smartphone (anstelle eines menschlichen Wesens) mitteilt: "Du könntest jetzt infiziert sein!"?

Aber es gibt ja auch andere Möglichkeiten, wie eine App funktionieren könnte. Als Beispiel: Heute habe ich den "Kölner Treff" angeschaut. Der von mir hochgeschätzte Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar propagiert in der Sendung eine App, bei der jeder Bürger abends seinen Gesundheitszustand (Kopfschmerzen, Fieber etc) eingeben soll. Wie realitätsfremd ist das denn bitte? Als ob die Bürger (aus allen bereits genannten Gründen) a) alle brav jeden Abend Daten übermitteln, b) überhaupt in der Lage sind, ihre Symptome eindeutig zu erkennen und zu deuten (Stichwort: Hypochondrie) und c) so eine flächendeckende Abfrage dieser Daten möglich wäre.
Auch dieses Modell geht einfach von einer Bevölkerung aus durchweg mündigen, verantwortungsbewussten, zuverlässigen Bürgern aus, die dauerhaft ihren Fokus auf die Corona-Problematik legen. Eine solche App mag vielleicht zur Selbstüberwachung Sinn machen, aber dass sie zuverlässig dazu in der Lage ist, die Ausbreitung des Virus zu kontrollieren und einzudämmen, halte ich für sehr unwahrscheinlich.

Apps mögen helfen, bestimmte Dinge besser zu verstehen, aber, sofern mir kein gravierender Denkfehler passiert ist, werden sie eben nicht in der Lage sein, dauerhaft und nach wissenschaftlichen Maßstäben zuverlässig Neuinfektionen, Infektionsketten und größere Ausbrüche frühzeitig zu entdecken und zu verhindern, um so ein Leben ohne größeren Lockdown zu ermöglichen, wie es die Befürworter nun suggerieren. Dabei vorausgesetzt, wir drücken die Infektionsrate weiter so runter, wie wir es durch unseren bisherigen Lockdown getan haben.

Und selbst wenn dies möglich wäre, ergibt sich noch ein anderes Problem: Laut Aussage von jenen, die besagten Weg anstreben, ist Deutschland in Europa das vielleicht einzige Land, welches noch in der Lage ist, die Zahl der Neuinfektionen so sehr zu reduzieren, dass man dann mithilfe der App, und unter der Voraussetzung, dass diese planmäßig funktioniert, die Verbreitung des Virus dauerhaft kontrollieren kann.
Gehen wir mal davon aus, sie haben Recht, dann heißt das im Umkehrschluss: Alle anderen Länder bleiben auf absehbare Zeit unkontrollierbare Seuchenherde. Und das wiederum hat zur Folge, dass wir uns, um hier keine Risiken einzugehen, dauerhaft von diesen abgrenzen müssten. Denn selbst wenn die deutsche Bevölkerung komplett "mitspielen" würde und wir das Virus bei uns auf diese Art ausmerzen könnten, wäre jeder Besucher aus dem Ausland ein potentielles Risiko. Wir müssten also, als Binnenland, alle Grenzen dauerhaft schließen und jeden einzelnen Gast in unserem Land kontrollieren, in Quarantäne setzen und vielleicht gar zwangsweise mit der App ausstatten, um auch langfristig frei von Corona zu bleiben.

Goodbye Europäischer Gedanke - Bonsoir Nationalismus, Abschottung und Fremdenfeindlichkeit?

So bleibe ich aktuell grundsätzlich skeptisch, was Sinn und Nutzen einer Corona-App angeht. Erst Recht habe ich große Zweifel, dass mit einer solchen ernsthaft das Problem unter Kontrolle gebracht werden kann. Wenn mir nun jemand meine Fragen im Text schlüssig und fundiert beantwortet und sich dadurch ein wirklicher Mehrwert in der Bekämpfung von Corona ergibt, dann bin ich zur Installation und Nutzung wahrscheinlich sogar bereit. Aber bitte liebe Experten, hört auf, hier die Hoffnung zu wecken, dass man unter den gegebenen Umständen und Voraussetzungen mit "Masken und App" Herr der Lage würde und wir dadurch schnell zu einer Art Normaliät zurückkehren könnten, denn das ist mehr als fragwürdig - und wenn wir langfristig durch die Corona-Krise kommen wollen, braucht es vor allem Klarheit und Ehrlichkeit.